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2016 STÄRKEN STÄRKEN

Die Anforderungen und Erwartungen an Schülerinnen und Schüler steigen kontinuierlich. Um den Einzelnen optimal auf seinen Lebensweg vorzubereiten ist es notwendig, individuelle Stärken bewusst zu machen und zu fördern. Methoden zur Kompetenzfeststellung stellen in Übergangsphasen, wie beispielsweise von der Schule in den Beruf, ein Instrument dar, um diese Potentiale herauszuarbeiten.

Wie aber funktioniert der Prozess der Kompetenzfeststellung? Welche Kompetenzen werden ermittelt? Welche Erfahrungen gibt es und wie kann es im Anschluss an ein Komptenzfeststellungsverfahren sinnvollerweise weitergehen?

Diesen Fragen gingen rund 180 Teilnehmer auf der Jahrestagung in Stromberg nach.

Michael Steuler, Vorsitzender Wirtschaft SCHULEWIRTSCHAFT

Um jungen Menschen, die sich auf dem Sprung in das Arbeitsleben oder in die weitere Ausbildung befinden, optimal zu helfen, sie es notwendig, dass sei sich ihrer Stärken bewusst würden und diese auch entsprechend individuell gefördert würden, forderte Michael Steuler, Vorsitzender Wirtschaft von SCHULEWIRTSCHAFT und Vorstandsmitglied der Landesvereinigung der Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz (LVU) in seinen Ausführungen zur Sicht der Wirtschaft. In den Unternehmen sei dies seit längerem gängige Praxis: Aus- und Weiterbildung würden zielgereichtet auf die Entwicklungspotentiale der Mitarbeiter angepasst und abgestimmt.

„Das ist für Unternehmen eklatant wichtig“, so Steuler weiter, „denn ein Unternehmen kann langfristig nur so gut sein wie seine Mitarbeiter. Für Personalabteilungen bedeute dies ein aktives und vorausschauendes Recruiting, kontinuierliche Personalentwicklung und auch eine systematische Analyse und Förderung von Mitarbeiterpotentialen über den ganzen Verlauf von Karrieren hinweg.“

Bereits in der Rekrutierung würden in Unternehmen kleine Organisationsspiele veranstaltet, um die Persönlichkeit der Bewerber kennen zu lernen und um festzustellen, ob der angestrebte Ausbildungsberuf  auch tatsächlich zu den persönlichen Stärken passen würde, führte Steuler mit Beispielen aus der betrieblichen Praxis weiter aus. Dabei forderte er: „ Diese Bemühungen müssen jedoch schon viel früher, nämlich im Übergang von der Schule in den Beruf stattfinden.“  Insofern begrüße die Wirtschaft das Anliegen der Landesregierung, die Studien- und Berufsorientierung zu systematisieren und Potentialanalysen als Diagnoseinstrument zur individuellen Förderung verbindlich einzuführen.  

Bildungsministerin Dr. Stefanie Hubig

Potentialanalyse – die Sicht des Bildungsministeriums

Kurz nach ihrer Ernennung zur Bildungsministerin nutze Dr. Stefanie Hubig die Möglichkeit, sich auf der Jahrestagung den Akteuren von SCHULEWIRTSCHAFT und den anwesenden Gästen vorzustellen.

Auf ihrem beruflichen Weg als Staatanwältin, Richterin und Mitarbeiterin an verschiedenen Ministerien  habe sie sich immer für Gerechtigkeit eingesetzt. Der Kern der rheinland-pfälzischen Bildungspolitik sei Gerechtigkeit.  Die Bildungspolitik in Rheinland-Pfalz setze auf Chancengleichheit, Aufstiegsorientierung, Durchlässigkeit und Leistungsstärke, also ein Bildungssystem ohne Sackkassen, so Hubig weiter. Daran wolle sie in den kommenden fünf Jahren anknüpfen und weiter arbeiten.

In der Einführung der Berufs- und Studienorientierung sei  Rheinland-Pfalz bundesweit ein Vorreiter. Seine führende Position verdanke das Land auch einer einzigartigen Kultur der Zusammenarbeit mit den Partnern des Ovalen Tisches.

Dabei sei in der Berufsorientierung nichts so wichtig wie die Frage nach den eigenen Stärken, Interessen, Fähigkeiten und Talenten, so Hubig weiter. „Nach dem also, was sein könnte, nach dem, was ein Leben lang trägt, also nach dem, was wir Potentiale nennen.“ Die Berufs- und Studienorientierung in Rheinland-Pfalz wolle diese Potentiale entdecken und den Schülerinnen und Schülern helfen, diese zu entfalten und sie zu stärken.

Damit dies gelänge, müsse die Berufs- und Studienorientierung individuell sein und sie dürfe nicht singulär erfolgen. Eine gute Berufsorientierung müsse Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben, sich selbst besser einschätzen zu können und neue Seiten an sich und der Arbeitswelt zu entdecken, um am Ende den Beruf zu finden, der zu ihnen passe. Voraussetzung sei ein Gesamtkonzept, in dem individuelle Förderung mit Kontinuität verschmelze. „In dieses Gesamtkonzept soll nun die Potentialanalyse eingebettet werden“, führte Hubig weiter aus. Ihre Aufgabe sei es, Jugendliche besser fördern zu können und ihr eigenes Bewusstsein für Chancen und Wege zu schärfen und ihr Selbstbewusstsein zu stärken.

Die Berufs- und Studienorientierung nutze in Rheinland-Pfalz verschiedene Kanäle von der App bis zum persönlichen Gespräch und sei stelle die  berufliche und akademische Bildung gleichwertig nebeneinander. „Berufliche Bildung eröffnet heute ungeahnte Chancen“, so die Ministerin. „Ungeahnt bedeutet aber häufig auch ungenutzt. Deshalb wollen wir in Rheinland-Pfalz diese Chancen aufzeigen. Auch dazu dient der neu eingeführte Tag der Berufs- und Studienorientierung.“

Gemeinsam mit dem Bund wolle das Land nun die Potentialanalyse bis 2021 als landeseinheitliches Kompetenzanalyseverfahren an allen Schulen etablieren, so Hubig.

Doris John, Michael Steuler, Moderator Ralph Szepanski mit der Ministerin beim Parcours der Sinne

Parcours der Sinne

Im Anschluss hatten die Teilnehmer der Tagung die Möglichkeit, am Parcours der Sinne ihre eigenen Kompetenzen auf eine spielerische Art und Weise zu testen. Der Parcours der Sinne wurde vom Bundesministerium für Forschung und dem Bundesinstitut für Berufliche Bildung in Zusammenarbeit mit MTO entwickelt. Dabei steht die Idee im Vordergrund, spielerisch an das Thema Potentialanalyse heranzuführen und zu zeigen, dass eine Potentialanalyse auch einen Spaß machen kann.

Potentialanalyse in Theorie und Praxis

In seinem moderierten Vortrag erläuterte Karsten Hammer, Bereichsleiter Bildung bei MTO Psychologische Forschung und Beratung in Tübingen anschließend das Procedere der Potentialanalyse. Dabei handle es sich um eine Diagnostik, die viele Informationen bereitstelle, die in der Schule zur individuellen Förderung genutzt werden können. Besonders Schlüsselkompetenzen seien in den Bildungsplänen zwar oft gefordert, würden aber nicht systematisch erfasst.

Die Potentialanalyse setze sich aus vier Beobachtungsaufgaben à 45 Minuten und verschiedene computergestützten Tests und Fragebögen zusammen.

Bei den Beobachtungsaufgaben im Fokus stehen

  • Sozialkompetenz
  • Personale Kompetenz und
  • Methodenkompetenz.
Karsten Hammer und Ralph Szepanski im Gespräch

Hierzu stehen verschiedene Einzel- und Gruppenaufgaben zur Verfügung. Bei deren Lösung werden die Schüler durch geschulte Lehrkräfte zuerst nur beobachtet und im nächsten Schritt beurteilt. In der anschließenden Beobachterkonferenz  der beteiligten  Lehrkräfte findet ein Austausch über die  Eindrücke und Beurteilungen statt.  Auch die Schülerinnen und Schüler füllen einen Selbstevaluationsbogen hinsichtlich der beobachteten Kompetenzen aus.

Die computergestützten Tests und Fragebögen geben Aufschluss über die kognitive Basiskompetenz und berufsfeldbezogene Kompetenzen.

Dabei geht es bei den berufsfeldbezogenen Kompetenzen nicht um die Hinführung zu einem bestimmten Beruf, sondern um eine berufliche Orientierung hin zu Berufsgruppen analog den Berufsgruppen der Bundesagentur für Arbeit, so Hammer weiter.

Im Anschluss werden die Ergebnisse aus den Beobachtungen und den Fragebögen auf einer Online-Plattform zusammengeführt und ergeben dann ein persönliches Kompetenzprofil für jeden einzelnen Schüler. Im Rückmelde- und Fördergespräch gelte es dann , die Beobachtungen und Erkenntnisse mit den Selbsteinschätzungen des Schülers zu besprechen. Hier wies Hammer auf die besondere Bedeutung dieses Gespräches hin, das einen großen Beitrag zur Motivation leiste.

Grundsätzlich seien Assesment-Center subjektive Verfahren, räumte Hammer ein. Durch die Einhaltung von vorgegebenen Qualitätsstandards könne es hier jedoch zu einer fairen Beurteilung kommen. Diese seien u.a.:

  • Geschultes Personal, das möglichst tabual rasa an die Beobachtung rangeht
  • Das Verfahren muss standardisiert sein und mit standardisierten Instrumenten durchgeführt werden
  • Trennung von Beobachtung und Beurteilung
  • Situationsvielfalt und
  • Beobachtervielfalt

Für die berufliche Orientierung bedeuteten die Ergebnisse neue Informationen, die für die Weiterarbeit an der individuellen Orientierung gut genutzt werden könnten.

Bei der Durchführung gäbe es keine Vorgaben, vielmehr würden verschiedene Organisationsmodelle angeboten werden, wie die Potentialanalyse in den schulischen Alltag integriert werden könnten

Auf die Frage, wer denn nun die Potentialanlysen durchführen solle, antwortete Hammer, dass dies eine schon lange im Bund geführte Diskussion sei. Bei Evaluationen habe sich herausgestellt, dass es bei der Durchführung durch externe Partner oft zu einem Bruch zwischen Diagnostik und Förderung käme: Die Schüler erhielten ihr Kompetenzprofil und die Übergabe an die Schule sei mangelhaft, so dass die Erkenntnisse nicht weiter in der Schule verwertet würden. Es sei wichtig, dass diejenigen, die mit den Schülern weiterarbeiten, auch an der Diagnostik beteiligt seien.

Ralsph Szepanski, Karsten Hammer, Katrin Sommer, Patrick Haas

Potentialanalyse - Diskussion

 Diese These unterstützte auch Katrin Sommer, die an ihrer Schule seit acht Jahren Erfahrungen mit der Durchführung der Potentialanalyse durch externe Partner hat. „Obwohl ich versucht habe, die Ergebnisse zu implementieren, blieb es ein totes Tier“, so Sommer. Trotzdem habe sie es sehr kritisch gesehen, als sie erfahren habe, dass die Potentialanalyse zukünftig von den Schulen selbst durchgeführt werden sollen. Ihre Schule habe sich dennoch als Pilotschule gemeldet und sie habe mit drei Kolleginnen die Schulung und auch schon den ersten gecoachten Durchgang mit den Schülern durchlaufen. „Das selber zu machen ist eine ganz andere Welt und eine tolle Erfahrung“, erzählt sie. Schüler und Lehrer könnten sich auf eine ganz neue und andere Art kennenlernen. Das Rückmeldegespräch sei sehr intensiv und im geschlossenen Rahmen könne ein ganz anderes Vertrauen aufgebaut werden, dass auch im Fachunterricht einen anderen Zugang ermöglichen würde.

Für Patrick Haas, der in der Wirtschaft bereits viele Erfahrungen mit Kompetenzanalysen gemacht hat, bietet die Einführung des Verfahrens die Möglichkeit, eher eine Passung –auch im Sinne des Schülers- zu erreichen und die Berufswahl weniger einer Zufälligkeit zu unterwerfen. Die Wirtschaft interessiere sich in zunehmendem Maße auch für die persönlichen Stärken und Fähigkeiten, um zu entscheiden, welche Aufgabe zu einem Bewerber oder Mitarbeiter passt. Diese sein auch der Schlüssel für Karrieren.

„Die Rückmeldegespräche sind das wesentliche Instrument in diesem Verfahren“, so Haas weiter. Das seien oft sehr sensible Gespräche –in der Wirtschaft ginge es um Entwicklungen, ggf. auch um Korrekturen es bisherigen Weges. Das müsse nicht unbedingt immer die Wunschwelt der Schüler treffen. Seiner Ansicht nach seien die für die Schulen vorgesehenen zwanzig Minuten pro Gespräch allerdings nicht ausreichend. Dennoch sei es sinnvoll, das Verfahren im Hause durchzuführen, vielleicht mit einem externen Moderator.

Wenn das Verfahren richtig genutzt würde, käme am Ende so viel raus, was sich positiv auf eine Berufszufriedenheit auswirken könne, dass der Aufwand gerechtfertigt sei, so Haas weiter.

Dies sah auch Hammer so: wenn die Schule nicht mit den Ergebnissen arbeiten würde, dass sei das Verfahren den hohen damit verbundenen Aufwand und die Mühe nicht wert. Idealerweise sei die Potentialanlyse als initiale Maßnahme in das Berufsorientierungskonzept eingebunden. Dazu brauche es aber auch die Bereitschaft von Schulleitungen und Kollegien und letztendlich sei es auch eine Frage der Prioritätensetzung im Schulalltag und der Schulentwicklung.

In ihren abschließenden Worten appellierten Doris John und Michael Steuler die Schulen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. „Die Aufforderung zur Selbstreflektion und die Erfahrung im Umgang mit der Meinung anderer ist wertvoll für die Schüler und kann es ihnen einfacher machen festzustellen, woran sie Spaß haben und wohin sie sich entwickeln können“, stellte Steuler fest.

In der Praxis würde es nun darauf ankommen, das Verfahren mit viel Wohlwollen durchzuführen.